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Sandra Maria Hackl

Diplomarbeit: Franz Grillparzers Frauenfiguren in sozialgeschichtlichem Kontext

Abstract

Die vorliegende Diplomarbeit möchte einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit den Frauenfiguren aus Franz Grillparzers dramatischem Werk leisten. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie Grillparzer vier ausgewählte Frauenfiguren (Rahel, Hero, Mirza und Gülnare) vor dem Hintergrund der historischen Lebenswelt des Biedermeier gestaltet. Die methodische Grundlage dieser Untersuchung bilden sozialgeschichtliche Ansätze der Literaturwissenschaft in gezielter Verbindung mit Aspekten der Gender Studies. Einleitend fasst daher ein knapper historischer Abriss die politische, rechtliche und soziale Stellung der Frauen in der Biedermeierzeit zusammen, um als geschichtliche Grundlage dieser Arbeit zu dienen. Biographisches Material, wie etwa Grillparzers Tagebuchaufzeichnungen, wurde für diese Analyse bewusst nicht herangezogen. Die wichtigste Quelle für diese Untersuchung stellen die dichterischen Texte dar.

Den Hauptteil dieser Arbeit bildet die Beschäftigung mit vier zentralen Frauenfiguren aus Grillparzers dramatischem Schaffen: Es sind dies Rahel aus Die Jüdin von Toldeo, Hero aus Des Meeres und der Liebe Wellen sowie Mirza und Gülnare aus Der Traum ein Leben. Diese Auswahl ermöglicht eine zeitliche Streuung als auch die Behandlung verschiedener Genres der Grillparzer’schen Dramatik. Die zentrale Forschungsfrage lautet: Wie stellt Grillparzer diese vier Frauenfiguren im Vergleich zur sozialgeschichtlichen Realtität der Biedermeierzeit dar? Ausgehend von einer zunächst separaten Analyse dieser vier Frauenfiguren werden als Kern dieser Arbeit die patriarchalen Strukturen aufgezeigt, von denen die vier Frauenfiguren in der Entfaltung ihrer autonomen Weiblichkeit eingeschränkt werden. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Mechanismen und Strategien der Unterdrückung, mit denen die Vertreter der patriarchalen Ordnung auf weibliche Autonomiebestrebungen reagieren. Überdies werden anhand der ausgewählten Beispiele Grillparzers dichterische Gestaltung des äußeren Erscheinungsbildes und der Sprache sowie die ökonomische Positionierung der Frauenfiguren diskutiert. Knappe Zusammenfassungen als Schlusspunkt der separaten Beschäftigung mit den Frauenfiguren ermöglichen am Ende jedes Kapitels eine Einordnung der jeweiligen Frauenfigur im Zusammenhang mit der zentralen Forschungsfrage.

Eine umfassende abschließende Zusammenschau verknüpft die Ergebnisse dieser einzelnen Auseinandersetzungen mit dem übergeordneten Kontext der historischen Realität. Diese Synthese führt zu der zentralen Feststellung, dass Grillparzer seinen Frauenfiguren mit Ausnahme der Mirza durchgängig emanzipierte Züge verleiht, egal in welcher Gesellschaftsschicht er sie situiert. Damit dient die vorliegende Untersuchung als Beleg für die Schlussfolgerung, dass Grillparzer zu der im Biedermeier gesellschaftspolitisch hochaktuellen Frauenfrage immer wieder aufs Neue eine durchaus progressive Position bezieht, ohne dabei dem patriarchalen Gesellschaftssystem eine eindeutige Absage zu erteilen.

Diese Arbeit zeigt ferner, dass sich Grillparzer als realistischer Kenner der patriarchalen Machtmechanismen erweist, wenn er mit Rahel und Hero zwei seiner großen aufbegehrenden Frauenfiguren nicht an widerspenstigen Individuen, sondern an den starren Normen des Gesellschaftssystems scheitern lässt. Diese Erkenntnisse ermöglichen die Formulierung der These, dass Grillparzers Frauenfiguren Rahel, Hero und Gülnare – sowie als Negativbeispiel auch Mirza – im Zusammenhang mit der Frage nach der Stellung der Frau innerhalb der patriarchal geprägten Gesellschaft der Biedermeierzeit als wegweisend gelten können: Grillparzers Frauenfiguren mögen scheitern, doch zugleich ist es ihnen gelungen, das patriarchale Herrschaftssystem in seinen Grundfesten zu erschüttern.

Diplomarbeit


Kolloquium für DiplomandInnen und DissertantInnen
Mi 13.45-15:15 Uhr
Seminarraum I

 

Ao. Univ.-Prof. Mag.
Dr. Pia Janke
Institut für Germanistik
Universität Wien

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