Logo der Universität Wien

Cornelia Wech

Diplomarbeit: „Eine Reise im Stillstand“. Thematische, intertextuelle und musikalische Bezüge zu Wilhelm Müllers und Franz Schuberts Winterreise in Elfriede Jelineks Winterreise

Abstract
Im Jahr 2011 veröffentlichte Elfriede Jelinek das Theaterstück Winterreise. Der Titel des Texts scheint nicht zufällig gewählt, sondern stellt einen Verweis zu Franz Schuberts Liederzyklus Winterreise dar, welcher wiederum auf Wilhelm Müllers gleichnamigen Gedichtzyklus basiert. Dies ist jedoch nur der erste von vielen Bezügen zu Müllers/Schuberts Werk. Auch wenn Jelinek in ihrem Text aktuelle Themen und Vorfälle bearbeitet, wie beispielsweise den Bankenskandal der Hypo Alpe-Adria oder das Medienspektakel um die Befreiung Natascha Kampuschs, ist ihre Winterreise dennoch von zahlreichen Verflechtungen zu Müllers/Schuberts Winterreise durchzogen.
In dieser Arbeit sollen all jene Verbindungen zwischen Müllers/Schuberts Gedicht-/Liederzyklus und Jelineks Theatertext aufgezeigt und interpretiert werden, um verständlich zu machen, wie viele und enge Verknüpfungen es zwischen dem Werk Müllers/Schuberts und Jelineks gibt. Dazu werden einerseits intertextuelle Bezüge zum Prätext analysiert, welche sich wie ein roter Faden durch Jelineks dramatischen Text ziehen, und andererseits verschiedene Thematiken, die einen Schwerpunkt in Jelineks aber auch in Müllers/Schuberts Winterreise darstellen, aufgearbeitet. Zudem wird auf strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen Schuberts und Jelineks Winterreise eingegangen, denn, auch wenn es sich bei dem einen Werk um ein musikalisches und bei dem anderen um ein dramatisches Stück handelt, weisen die beiden dennoch strukturelle Ähnlichkeiten auf.
Dabei kann festgestellt werden, dass es sowohl in Müllers/Schuberts Gedicht-/Liederzyklus als auch in Jelineks Theatertext weder auf inhaltlicher noch auf struktureller Ebene ein Fortschreiten bzw. eine Entwicklung gibt, sondern eine kreisförmige Bewegung um einzelne Motive und Elemente der Werke gegeben ist. Bei Müller/Schubert drehen sich einerseits die Gedanken des Wanderers nur um sich selbst und andererseits ist auch in Bezug auf den musikalischen Aufbau kein Zustreben auf einen Höhepunkt zu erkennen, sondern die Musik kreist immer wieder um dieselben Themen und Motive und variiert diese. Bei Jelinek gibt es ebenso auf inhaltlicher Ebene keine konventionelle Entwicklung der Handlung, sondern die unterschiedlichen Figuren, welche in den einzelnen Szenen am Wort sind, setzen sich alle mit ähnlichen Themen und Problemen auseinander. Doch auch strukturell gesehen ist in Jelineks Winterreise ein Kreisen um intertextuelle Motive, aber auch um einzelne Wörter zu erkennen, welche immer wieder aufgenommen und im Laufe des Werks variiert werden.
Dieses Kreisen um einzelne Elemente in Müllers/Schuberts und Jelineks Winterreise bringt den Effekt einer Nichtsgewissheit mit sich, den Jelinek zwar nur anderen Künstler/innen
zuschreibt, der jedoch auch ihr eigenes Werk definiert. Erst durch die Betrachtung von Müllers/Schuberts Werk und den Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Versionen der Winterreise ist ein Verständnis der Jelinek‘schen Winterreise möglich, welche ein ebenso nichtsgewisses Werk wie die Kompositionen Schuberts darstellt.

Diplomarbeit


Ao. Univ.-Prof. Mag.
Dr. Pia Janke
Institut für Germanistik
Universität Wien

Universitätsring 1
A-1010 Wien
T: +43-1-4277-421 25
F: +43-1-4277-42150
Universität Wien | Universitätsring 1 | 1010 Wien | T +43-1-4277-0