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Ulrike Haidacher

Diplomarbeit: „Wer nicht sehen kann, muß hören“. Das frühe Hörspielschaffen Elfriede Jelineks im Kontext des Neuen Hörspiels

Abstract

Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, Elfriede Jelineks erste vier Hörspiele Wien West, wenn die sonne sinkt ist für manche auch noch büroschluß, Untergang eines Tauchers und Für den Funk dramatisierte Ballade von drei wichtigen Männern sowie dem Personenkreis um sie herum gattungstheoretisch zu kontextualisieren und in Hinblick auf ihre Hörbarkeit zu untersuchen.

Elfriede Jelineks original für den Rundfunk konzipierte Hörspiele entstanden zwischen 1971 und 1977. In dieser Zeit war das Neue Hörspiel gerade populär geworden und konnte seine größten Erfolge verzeichnen. Dem Neuen Hörspiel standen aufgrund der damals aufgekommenen Stereofonie neue technische Möglichkeiten zu Verfügung. So strömte der Ton nicht mehr punktuell aus dem Lautsprecher und es konnten stereofone Räume geschaffen werden. Man wollte sich von den traditionellen Formen des Hörspiels distanzieren und die HörerInnen zu einem aufmerksamen Zuhören anhalten. Es wurde versucht, ein emotionales Einlassen und eine damit einhergehende passive Haltung des Publikums zu verhindern. Ausdrucksmöglichkeiten wurden wieder in frühen Traditionen, in denen des Dadaismus, der Musique concrète, der Pop-Art sowie in den Radiotheorien Bertolt Brechts oder Walter Benjamins gefunden. Die Technik der Collage ermöglichte es, Klangmaterial miteinander zu verbinden und autonome Schallräume herzustellen. Außerdem wollte man durch die Montage heterogenen Sprachmaterials Denk- und Sprechweisen transparent machen.

Es lässt sich feststellen, dass Elfriede Jelineks Original-Hörspiele insofern eine isolierte Position innerhalb des Neuen Hörspiels einnehmen, als sich bereits das erste Werk Wien West von der Strömung distanziert, indem es eine Parodie auf das Geräusch als Radiokunst anstrebt. Gleichzeitig jedoch werden sowohl in Wien West als auch in den anderen Hörspielen genau jene technischen Möglichkeiten effektiv genutzt, die im ersten Spiel parodiert werden. Inhaltlich wie auch formal kommen die Hörspiele dem nach, was in den 1960er- und 1970er-Jahren unter dem Neuen Hörspiel verstanden wurde. Jelinek entnimmt den Sprachbestand aus Alltag und Medien und so werden in den akustischen Realisierungen durch Montage und Verfremdung die HörerInnen zur Reflexion eigener Denk- und Sprachstrukturen angehalten und zur aktiven Mitarbeit aufgefordert.

Das Medium Hörspiel bietet den geeigneten Ort für Elfriede Jelineks Sprachfiguren. So besteht im akustischen Raum eher als im Theater oder in schriftlicher Form die Möglichkeit, Sprache wie musikalisches Material zu verwenden, ohne auf die zusätzliche Vermittlung von Visuellem angewiesen zu sein. Im rein akustischen Raum existieren nur Sprache, Stimme und Geräusche, wodurch der/die HörerIn gezwungen ist, sich des Sehens zu entledigen und die Aufmerksamkeit ausschließlich auf das Hören zu richten.

Diplomarbeit


Ao. Univ.-Prof. Mag.
Dr. Pia Janke
Institut für Germanistik
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