Mediale Repräsentationen des Suizids und ihre Wirkungen
DOC-team-Stipendium (Österreichische Akademie der Wissenschaften)
Projektleitung: Roland Innerhofer [andere Institute: Gernot Sonneck, Peter Vitouch]
Projektmitarbeiter: Arno Herberth [andere Institute: Thomas Niederkrotenthaler, Benedikt Till]
Projektlaufzeit: 36 Monate (01.06.2006-31.05.2009)
Partnerinstitutionen: Kriseninterventionszentrum Wien, Verein IQ Initiative Qualität im Journalismus, ÖGS - Österreichische Gesellschaft für Suizidprävention
Projektbeschreibung: Das Dissertationsprojekt "Mediale Repräsentationen des Suizids und ihre Wirkungen" fokussiert auf die Darstellung der komplexen Wechselbeziehungen zwischen Rezipient(in), Rezeptionsmodalitäten, jeweiligem Medium sowie inhaltlicher und formaler Mediendarstellung, die die Wirkungspotentiale von Suiziddarstellungen bestimmen. Die hier gewonnenen Erkenntnisse können zu einem besseren Verständnis des Phänomens der Imitationssuizide beitragen und für eine Optimierung von Suizidprävention durch Zusammenarbeit mit Massenmedien genutzt werden.
Ziel des literatur- resp. medienwissenschaftlichen Teiles ist es, anhand einer repräsentativen Auswahl aus medialen Produkten mit narrativer Komponente (Prosa, Drama, Film, Printmedienberichterstattung, Fernsehgenres, Essays, Ratgeberliteratur, ins Deutsche übersetzte Bestseller) dominante Plot-Muster der Erzählungen mit suizidalem Inhalt (Suizid, Suizidversuch) zu beschreiben. Ziel dieser Analyse ist es, Aufschluss über gängige und in der Gesellschaft womöglich akzeptierte Legitimationen für suizidale Handlungen zu bekommen. Darüber hinaus soll in diesem Rahmen der Frage nachgegangen werde, inwieweit der Suizid in Erzählungen gegenwärtig als unvermeidliches, schicksalhaftes Ereignis codiert ist.
Die Beschreibung von Erzählmustern erfolgt weiters unter einer wirkungsästhetischen Perspektive, das heißt, dass Hypothesen darüber gebildet werden sollen, wie bestimmte Genres bzw. konkrete Beispiele für ?Suiziderzählungen? bei verschiedenen Rezipient(inn)engruppen wirken könnten. Einen spezifischen Fokus bildet in diesem Arbeitsschritt die Bildung von Wirkungshypothesen in Bezug auf die Gruppe der ?suizidalen? Menschen.
Die Beschreibung der ästhetischen Strategien der zu untersuchenden Erzählungen erfolgt gemäß dem heterogenen Primärmaterial in medientheoretischer Ausdifferenzierung. Das bedeutet, dass sowohl bei der Beschreibung der invarianten Erzählmuster vom Suizid als auch bei deren wirkungsästhetischer Einschätzung Fragen nach den technischen Gegebenheiten der untersuchten Medien berücksichtigt werden. Ein weiteres Theoriefeld, das im Zuge dessen in die obigen Fragestellungen integriert werden muss, ist die Frage nach dem Fiktionalitätsstatus der zu untersuchenden Erzählungen: Welche fiktionalisierenden bzw. authentisierenden Elemente sind Teil der ästhetischen Strategie der untersuchten medialen Produkte und welche Folgen hat dies im Hinblick auf die Bildung von Wirkungshypothesen? Die möglichen Wirkungen medialer Produkte werden nicht bloß im Hinblick auf Bedeutungszuschreibungen des Rezipienten / der Rezipientin an die ?Texte? beschrieben, sondern im Kontext von Handlungsmustern und Handlungsoptionen den Suizid betreffend gesehen. Das Konzept der ´Scripts´ ? hier definiert als standardisierte Handlungsabfolgen, die notwendig sind, um bestimmte Handlungsziele zu erreichen - fungiert in meiner Arbeit als Metarahmen für die Analyse der konkreten Suizidszenen in den ?Texten?.
Das methodische Vorgehen ist einerseits geprägt durch eine narratologisch-strukturalistische Analyse, die ergänzt wird durch eine rezipient(inn)enorientierte Hermeneutik. Wirkungshypothesen werden durch den Prozess der Modellbildung über die Verarbeitung und Wirkung von Medieninput beim Rezipienten / bei der Rezipientin und die Beschreibung verschiedener Lesertypen gewonnen. Modelle der Pragmatischen sowie der Kognitiven Narratologie sollen in dieser Hinsicht kritisch geprüft werden und zur Anwendung gelangen.
Im Mittelpunkt des medienpsychologischen Teils dieses Projektes steht die Frage, inwieweit die konventionell als "fiktiv" definierten Darstellungen von Suiziden in Spielfilmen die Befindlichkeit des Rezipienten / der Rezipientin beeinflussen können. Dieses Konstrukt der Befindlichkeit setzt sich aus einer Reihe von emotionalen und kognitiven Parametern zusammen: Es beinhaltet im Wesentlichen die aktuelle Stimmung, die innere Anspannung, die Lebenszufriedenheit und das Selbstwertgefühl ebenso wie die Konstrukte Depressivität und Suizidalität. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, ob es Rezeptionsvariablen gibt, die die Filmeffekte verstärken oder vermindern. Im Zuge dieser Untersuchung wird ein Laborexperiment durchgeführt, bei dem sowohl Fragebögen als auch Gruppendiskussionen zum Einsatz kommen, durch deren Anwendung Rückschlüsse auf die Wirkung von Filmen mit suizidalem Inhalt sowie auf die internalisierten Plotmuster und kognitiven Scripts der Rezipient(inn)en ermöglicht werden.
Der medizinisch-psychologische Projektteil fokussiert auf die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen printmedialer Suiziddarstellungen im Sinne von Induktion und Prävention von Imitationsverhalten. Es wird ein konventionell als "nicht fiktiv" bezeichnetes Medium in den Fokus genommen, wobei nicht der einzelne Rezipient / die einzelne Rezipientin im Zentrum des Interesses steht. Vielmehr soll die bisherige soziologische Methodik in diesem Forschungsfeld in Richtung einer stärkeren Berücksichtigung der Darstellungsqualitäten der Berichterstattung erweitert werden. Der methodische Ansatz beinhaltet eine qualitative Inhaltsanalyse der gegenwärtigen Berichterstattung über Suizide. Diese wird in einem weiteren Arbeitsschritt mit quantitativen Verfahren verknüpft, die auf das Erfassen derartiger Nachahmungseffekte auf der Makroebene abzielen. Auf diesem Weg können Hypothesen über imitationsfördernde und -verringernde Merkmale printmedialer Darstellungen des Suizids einer empirischen Überprüfung zugeführt werden.
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