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Poetische Philosophie des Geistes
Cognitive Poetics, Analytische Philosophie des Geistes und Poesie / Poetologie

Projektleitung: Thomas Eder
Projektlaufzeit: 12 Monate (01.06.2005 - 31.07.2006)

Projektbeschreibung:
1) Das Projekt "Poetische Philosophie des Geistes" verbindet eine historische mit einer systematischen Fragestellung. Anhand von expliziten oder implizit zugrundeliegenden Poetologien zu Werken der Dichtung und Prosa seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert (geplantes Textcorpus: Hölderlin, Novalis, Valéry, Musil, Broch, Wiener, Czernin etc.) und der damit zusammenhängenden Analyse exemplarisch relevanter Gedichte und Prosatexte der genannten Autoren soll eine kritische Bestandsaufnahme von Möglichkeiten und Grenzen der "Cognitive Poetics" herausgearbeitet werden.. Der fächerübergreifende Untersuchungsrahmen ist durch drei Disziplinen abgesteckt: Kognitionswissenschaft, Analytische Philosophie des Geistes und Literaturwissenschaft.
Der Ausgangspunkt: In den letzten fünfzehn Jahren hat sich am Rande der Kognitionswissenschaften vor allem im angloamerikanischen Raum und in Israel ein Forschungsbereich herausgebildet, der als "Cognitive Poetics" (cf. z.B. Tsur 1992, Stockwell 2002, Gavins/Steen 2003, Hogan 2003) bezeichnet werden kann. "Cognitive Poetics" ist ein interdisziplinäres Forschungsgebiet, innerhalb dessen Literatur mit den Forschungsmethoden der Cognitive Science untersucht wird. Cognitive Science vereint ihrerseits als ein sogenannter "umbrella-term" unterschiedliche Forschungsdisziplinen: Kognitionspsychologie, Psycholinguistik, Künstliche-Intelligenz-Forschung, bestimmte Zweige der Linguistik und der Wissenschaftstheorie im allgemeinen. Cognitive Poetics untersucht, wie die poetische Sprache und "Gestalt" von den informationsverarbeitenden Prozessen menschlicher Symbolproduktion mitbestimmt werden. Die drei Parameter, die bei der Produktion und Rezeption von Literatur relevant sind (Autorin, Text, Leserin), werden mit den Mitteln naturwissenschaftlicher Theoriebildung zu empirischer Evidenz zu bringen versucht. Deshalb halte die Kognitive Literaturwissenschaft für den den weichen Wissenschaften zuordenbaren Umgang mit Literatur eine wissenschaftstheoretische Fundierung bereit: sie lege die kognitiven Grundlagen offen, auf denen ein literarischer Text errichtet ist. Zudem mache sie die kognitiven Fähigkeiten explizit, die Autorinnen bei der Textproduktion und Literaturwissenschaftlerinnen beim Analysieren literarischer Texte anwenden. Durch diese explanatorische Angemessenheit erfülle die Kognitive Literaturwissenschaft die Kriterien einer - im strikten Sinne wissenschaftlichen - Theorie der Literatur, denn sie halte u.a. eine unabhängige Begründung jeder Interpretation dadurch bereit, daß sie erkläre, wie Sprache und Geist den Prinzipien der kognitiven Linguistik zufolge funktionieren und interagieren.
Auch wenn Cognitive Poetics eine reduktionistische Sicht der Dichtung vermeiden will (Dichtung lasse sich nicht auf psychologische und in weiterer Folge auf neurologische und schließlich physikalische Vorkommnisse reduzieren), ist doch auffällig, daß die bisherigen Annäherungen der Kognitiven Poetik kognitionswissenschaftliche Theorien von einem Reflexionsstand aus zur Analyse literarischer Texte herangezogen haben, der nicht immer der Höhe poetologischer Erkenntnisse und literaturwissenschaftlicher Theoriebildung entspricht.

2) Wichtigste Forschungsergebnisse im Überblick

- den bisherigen Arbeiten der Kognitiven Poetik konnte attestiert werden, von einem zu eingeengten, überkommenen und unangemessenen Verständnis des Poetischen auszugehen, vor allem was die Kernoperationen der Dichtung anlangt: Metapher und figurative Sprache.
- konzeptuelle/kognitivistische Erklärungen des Metaphorischen scheinen den von ihnen so benannten Mythos des Objektiven durch den Mythos des Erfahrbaren zu ersetzen, der auf Empirie fußt, ohne sich mit den theoretischen Implikationen und Präsuppositionen eines solchen forschungsleitenden Programms theoretisch auseinanderzusetzen.
- eine theoretisch fundierte Kritik an der konzeptuellen/kognitivistischen Theorie der Metapher an dieser Auffassung aus a) einer empirisch-kognitivistischen Perspektive, b) einer generellen philosophischen Perspektive und c) einer zwischen a) und b) vermittelnden Position konnte systematisch dargestellt und kritisch evaluiert werden (Czernin/Eder 2007).
- im Anschluß an die grundsätzlichen Kritikpunkte hinsichtlich der philosophischen Voraussetzungen eines verkörperten wissenschaftlichen Realismus und an die plausiblen Kritikpunkte an der konzeptuellen Metapherntheorie von George Lakoff hat der dritte Teil des gegenständlichen Forschungsprojektes eine mögliche Kritik an der Anwendbarkeit der konzeptuelle/kognitivistischen Theorie der Metapher zur Interpretation poetischer Texte erbracht. Als wohl gewichtigster Einwand gegen die Anwendung der Einsichten der Cognitive Science zur Interpretation von Gedichten hat sich der folgende (auch mit Reuven Tsur) erwiesen: man kann der Kognitiven Poetik Reduktionismus und damit zusammenhängend, als Kehrseite: eine "unnötige Verdopplung der Terminologie" ("unnecessary duplication of terms") unterstellen, vor allem dann, wenn die Konstatierung von den den sprachlichen Äußerungen in einem Gedicht zugrundeliegenden konzeptuellen Metaphern in der Geist-Körper-Terminologie ("Mind-in-the-Body vocabulary") nichts Neues oder Essentielles zur Interpretation des Gedichts beiträgt. Die Analyse von konzeptuellen Metaphern, so die Ergebnisse der case-studies im bisherigen Forschungsverlauf, lohnt nur dort, wo der poetische Text explizit die unterliegenden kognitiven Prozesse unterbricht, wo dies thematisch wird und wo die Konstatierung der unterliegenden kognitiven Mechanismen erlaubt, relevante Unterscheidungen innerhalb des spezifischen Texts zu machen. Ansonsten läuft, so das Ergebnis der bisherigen Forschung, die Kognitive Poetik Gefahr, Einsichten in den literarischen Text nicht aufgrund der Zuschreibung von konzeptuellen Metaphern zu gewinnen, sondern zufälligerweise auch trotz dieser Zuschreibung.
- systematische theoretische Ansätze der Cognitive Science und der Kognitiven Poetik im besonderen und die damit einhergehende Terminologie ("Schema" etc.) sollten einer historisch fundierten Begriffs- und Theoriegeschichte ausgesetzt werden, um im Lichte historischer "Leistungen und Irrtümer" ihr gegenwärtiges Potential besser ausloten und prognostizieren zu können.
- als Ausblick der bisherigen theorie- und anwendungsgeleiteten Forschung können weitaus weniger kritisch folgende in unserem Projektzusammenhang zu untersuchende Theorieansätze angegeben werden: a) Gilles Fauconniers und Mark Turners Ansatz der "conceptual integration" ("blending") und b) die Anwendung der Ansätze aus Sperber/Wilson's Relevanztheorie (einer Erweiterung der Grice'schen Pragmatik) auf die empirischen Daten kognitionswissenschaftlicher und psycholinguistischer Forschung (Relevanztheorie als theoretische Fundierung empirischer Forschung aus dem Bereich der Cognitive Science [v.a. Kognitionslinguistik und Kognitionspsychologie]).

References:

  • Czernin/Eder 2007 = Franz Josef Czernin, Thomas Eder (eds.), Zur Metapher. Die Metapher in Philosophie, Wissenschaft und Literatur, München, Paderborn: Wilhelm Fink
  • Gavins/Steen 2003 = Joanna Gavins, Gerard Steen (eds.), Cognitive Poetics in Practice, London, New York: Routledge
  • Hogan 2003 = Patrick Colm Hogan, Cognitive Science, Literature, and the Arts, A Guide for Humanists, New York, London: Routledge
  • Stockwell 2002 = Peter Stockwell, Cognitive Poetics: An Introduction. London: Routledge
  • Tsur 1992 = Reuven Tsur, Toward a Theory of Cognitive Poetics. Amsterdam: North-Holland

 

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